Die persönliche Atmosphäre ins Digitale holen – beim Klippel-Feil-Syndrom e.V.

eine Frau mit roter Jacke sitz in einem Rollstuhl und tippt auf dem Handy

Der Verein Klippel-Feil-Syndrom e.V. ist eine Selbsthilfeorganisation und tritt als Sprachrohr, Multiplikator und Vermittler auf. Er sensibilisiert für die Belange von Menschen mit seltenen Erkrankungen, besonders des Klippel-Feil-Syndrom.

Annett Melzer, Vorsitzende des Vereins und selbst vom seltenen Klippel-Feil-Syndrom betroffen, berät und begleitet tagtäglich Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen und deren Familien - ganz nach dem Prinzip „Betroffene beraten Betroffene“.

Außerdem macht sich Annett seit vielen Jahren auch mit der Freiwilligen-Agentur Halle für mehr Inklusion stark - und da auch digital wie mit der Actionbound-Tour "Halle inklusive", die im Mai 2021 gestartet wurde.

Wir haben Annett via Zoom getroffen und wollten wissen, was die Digitalisierung für ihren Verein bedeutet und wie sie ihr eigenes und das Engagement ihrer Mitstreiter:innen beeinflusst.

 

Liebe Annett, du bist Gründerin, Vorsitzende und das Herz des Vereins Klippel-Feil-Syndrom e.V. - kannst du uns zuerst einen kleinen Einblick geben, was deine Aufgaben sind?

"Seitdem ich 2004 den Verein Klippel-Feil-Syndrom e.V. gegründet habe, ist er sehr gewachsen. Aktuell haben wir über hundert Mitglieder – angefangen haben wir mit sieben. Eigentlich engagiert sich der Verein vor allem für Menschen mit der seltenen Erkrankung Klippel-Feil-Syndrom, aber in den letzten Jahren haben wir uns sehr geöffnet und auch eine Beratungsstelle für Menschen mit verschiedensten Behinderungen aufgebaut. Wir unterstützen sie zum Beispiel bei Anträgen für Behörden und Kostenträger.

Neben dieser Arbeit haben wir viele tolle Projekte ins Leben gerufen, zum Beispiel eine Tanzgruppe für Rollifahrer und Fußgänger, ein Nähprojekt, ein Musikprojekt. Außerdem haben wir letztes Jahr eine Begegnungsstätte aufgebaut, die wir gerade barrierefrei umbauen."

Annett Melzer engagiert sich digital

Nun hat die Corona-Pandemie in den letzten zwei Jahren die sich zuvor eher schleppend entwickelnde Digitalisierung allerorts beschleunigt – auch beim Engagement. Es gibt inzwischen viele tolle Beispiele, wie man sich von überall aus mit einem digitalen Gerät und über das Internet für eine gute Sache einsetzen kann. Auch in Eurem Verein?

Wie kann man sich bei euch digital engagieren? Wie hat die Digitalisierung bei euch Einstand gehalten und was bedeutet sie für eure Vereinsarbeit?

"Da wir ein bundesweit arbeitender Verein - und europaweit sogar der einzige Verein für die Patienten mit der seltenen Erkrankung Klippel-Feil Syndrom - sind, ist die Digitalisierung für unsere Vereinsarbeit die Grundvoraussetzung. In der Coronazeit konnten wir sie gut weiter vorantreiben und haben uns auch selbst in den letzten Jahren digital ganz viel bewegt.

Wir haben digitale Selbsthilfe-Gruppen aufgebaut, die sich sogar länderübergreifend ausgeweitet haben. Letztens haben sich Personen aus Peru und Brasilien in ein Treffen der Selbsthilfegruppe mit eingeschaltet und sich mit ihren Erfahrungen eingebracht – das wäre regional an einem Ort gar nicht möglich.

Wir haben einige Engagierte und Ehrenamtliche bei uns im Verein, die sich komplett digital bei uns engagieren und die Vereinsarbeit sehr unterstützen - bei der Arbeit an der Homepage, sie betreuen unsere Social-Media-Kanäle, helfen bei Online-Veranstaltungen und und und. Das hilft uns wirklich sehr und würde ohne Digitalisierung gar nicht gehen."
 

Was heißt für dich persönlich digitales Engagement – welche Vor- und vielleicht auch Nachteile hat es?

"Wenn ich Vorträge oder Seminare leite und referiere, finde ich es schön, wenn ich das auch digital machen kann und keinen langen Anfahrtsweg zum Veranstaltungsort habe. Das mag ich und ist für mich persönlich sehr angenehm.

Aber die vielen persönlichen Gespräche am Rande von Veranstaltungen und Treffen kommen manchmal ehrlicherweise im digitalen Raum etwas zu kurz. Manchmal versuche ich, noch digitale Räume anzubieten, in denen man sich auch am Rande unterhalten kann. Ganz ungezwungen und wie jeder möchte, so dass man trotzdem miteinander in Kontakt sein kann. Das ist total wichtig. In unserem Verein versuchen wir einen guten Mix von beidem – also persönlichen und digitalen Treffen, das ist mir sehr wichtig."
 

Du hast besonders oft mit Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, aber auch anderen Behinderungen zu tun. Könnte das digitale Engagement hier besondere Chancen bieten, sich einzubringen und Teilhabe zu erleben?

"Also für viele Menschen mit Beeinträchtigungen ist die Anfahrt zu einem bestimmten Ort wirklich eine Hürde. Sie brauchen oft jemanden, der sie von A nach B fährt. Besonders, wenn man nicht mobil ist und auf dem Land lebt, ist es schwierig, weil der öffentliche Nahverkehr oft sehr eingeschränkt ist.

Ich biete jetzt auch ganz viele Veranstaltungen hybrid an, so dass man persönlich dabei sein kann, aber auch digital.

Es ist schon eine gute Möglichkeit für Menschen mit Beeinträchtigungen, sich digital zu engagieren. Mir selbst sind die persönlichen Begegnungen aber sehr wichtig, und wenn es irgendwie geht, versuche ich, mich mit den Engagierten in unserem Verein auch mal zu treffen."
 

Aus deiner persönlichen Erfahrung – welche Unterstützung und welche Bedingungen braucht es, damit das digitale Engagement gut funktioniert? Also abseits von den technischen Erfordernissen?

"Also wenn man Ehrenamtliche hat, die sich digital im Verein engagieren möchten, muss man auch die richtigen Voraussetzungen schaffen. Es ist die Aufgabe des Vereins, die digitalen Zugänge zu organisieren, die Programme zu bezahlen, damit man sich auch engagieren kann. Vielleicht auch einen Laptop bereitzustellen, wenn Ehrenamtliche keinen haben. Das ist einfach eine Grundvoraussetzung.

Dazu ist eine gute Einarbeitung einfach unheimlich wichtig und dass man regelmäßig als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Das geht ja genauso auch auf digitalem Weg."

Und als letztes müssen auch die Engagierten für sich selbst eine gute Struktur haben und verlässlich sein - egal, ob man eine Einschränkung hat oder nicht.

Annett Melzer bei der Actionbound-Tour "Halle inklusive"
Mehr Infos und Kontakt:

Klippel-Feil-Syndrom e.V.
Annett Melzer
06114 Halle (Saale)
Tel.: 0151/41285384 | 0345/78235640
Mail:
info@klippel-feil-syndrom.com