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Gute Beispiele
Lektorieren für russischsprachigen Selbsthilfeverein "Die Sputniks e.V.", München
Ich befinde mich im „Shaere“ in Neuperlach – einem eher nicht so beliebten Viertel in München. Viele Plattenbauten beherrschen das Stadtbild. Das Shaere ist ein ehemaliges Gebäude einer großen Versicherung, das nun für gemeinnützige Organisationen und Kreativprojekte genutzt wird. So lange, bis das Gebäude abgerissen werden muss. Die Projekte bringen Lebendigkeit in das Viertel. Orte des Austauschs, der Begegnung und des Ausprobierens.
Ich war schon einmal hier und finde mich deshalb super zurecht. Am Eingang sehe ich eine Infotheke und rieche Kaffeeduft. Die Gänge sind verwinkelt, die Wände bunt mit Plakaten und Hinweisschildern beklebt. Über die Treppe geht’s hoch in den zweiten Stock. Dort treffe ich Marina Moiseeva, Leiterin der Initiative „Sputnik München“, Die Sputniks e.V.. Ich freue mich auf das Gespräch. Denn als Freiwilligen-Agentur vermittelten wir digitales Engagement für Sputnik. Und waren – das gebe ich ehrlich zu – überrascht, wie viele Menschen sich freiwillig für die Aufgabe bei den Sputniks engagieren wollen.
Heute erzähle ich euch, was mir Marina Moiseeva über digitales Engagement bei Sputnik verraten hat.
Das sind die Sputniks
„Die Sputniks e.V.“ ist die erste und die einzige migrantische gesundheitsbezogene Selbsthilfeorganisation, die bundesweit aktiv ist. Sie beraten und begleiten russischsprachige Familien mit Kindern mit Beeinträchtigungen.
Marina Moiseeva kam vor über 20 Jahren nach Deutschland. Sie weiß, wie schwierig es ist, eine fremde Sprache zu lernen und sich in einem neuen System zurecht finden zu müssen.
Im Jahr 2006 bekam sie Zwillinge. Ihr Leben hat sich damit komplett geändert. Ihre Kinder waren Frühchen und sind mit Behinderungen auf die Welt gekommen.
Heute leitet Marina Moiseeva den Landesverband Sputnik Bayern und die Münchner Selbsthilfegruppeninitiative „Sputnik München“.
Großer Bedarf für Familien
Die Nachfrage der russischsprachigen Familien nach Selbsthilfe-Angeboten ist enorm groß. Die Teilnehmenden kommen aus derzeit 29 Nationen und Ethnien. Bis 2022 begleiteten die Sputniks nur in München bereits 60 Familien mit Kindern mit Behinderungen. Durch den Ukraine-Krieg hat sich die Anzahl der begleiteten Familien verdoppelt.
Doppelte Benachteiligung durch Behinderung und Sprache
Die Familien sind durch die besonderen Anforderungen, die die Kinder mitbringen, sehr stark eingebunden. Die Mütter verbringen sehr viel Zeit im Krankenhaus. Deshalb haben sie oft keine Möglichkeit, Deutsch zu lernen. Selten ist die Kinderbetreuung sichergestellt. Die Familien werden mit ihren Problemen allein gelassen.
Hier hilft Die Sputniks e.V. In Peer-Beratungen klären sie in russischer Sprache über Beeinträchtigungen, Diagnostik und das Hilfssystem in Deutschland auf. In den Selbsthilfegruppen geht es um die gegenseitige Unterstützung der Betroffenen. Das Konzept von Selbsthilfegruppen ist in vielen russischsprachigen Ländern gar nicht bekannt. Es ist für die Familien wichtig, dass es Die Sputniks e.V. gibt.
Seit dem Ukraine-Krieg sind besonders viele Familien mit ihren Kindern mit Beeinträchtigungen nach Deutschland geflohen. Sie kennen die Regeln und Wege im deutschen Gesundheitssystem nicht. Diese Familien begegnen nun zwei Hürden: Die Sprache und die Einschränkungen der Kinder.
„Um im deutschen Gesundheitssystem Unterstützung zu erhalten, muss man Deutsch sprechen und verstehen können.“ sagt Marina Moiseeva. Hinzu kommt: „Mit Schwerbehinderungen kennt sich eine normale Sachbearbeiterin nicht aus. Das ist eine andere Situation: andere Rechte, andere Möglichkeiten, die eigentlich genutzt werden sollten, damit die Mütter zum Deutschkurs kommen können.“
Sputnik Bayern arbeitet mit dem Sozialreferat der Landeshauptstadt München und dem Behindertenbeirat München zusammen, sie sind in Krankenhäusern geschätzte Ansprechpartner. Mittlerweile sind sie so bekannt, dass die Familien proaktiv auf die Selbsthilfegruppe zukommen. Das ist einerseits schön, andererseits ein Problem, zeigt Marina Moiseeva auf: „Es kommen immer mehr Familien, aber es fehlt an öffentlicher Finanzierung.“
So hilft Digitales Engagement
Als Selbsthilfeverein kennen die Sputniks die Gesetzeslage und haben das fachliche Know-how, um auf Russisch kompetent zu beraten. Für eine Vielzahl an Texten sind sie jedoch auf die Hilfe von deutschsprachigen Freiwilligen angewiesen:
„Wir müssen Anträge stellen, Verwendungsnachweise schreiben, kurze Berichte erstellen, Veranstaltungen bewerben und davon erzählen. Unsere Deutschkenntnisse sind leider nicht gut genug. Dabei ist es so wichtig, richtig und gut zu formulieren. Nur so können wir zeigen, welchen Beitrag wir in Deutschland leisten.“, sagt Marina Moiseeva.
Die Liebe zum Text
Bei den Sputniks engagieren sich Freiwillige digital, die sich zwar nicht im Gesundheitssystem auskennen, dafür aber mit Texten. Sie waren Lehrer:innen, Lektor:innen oder sind Wissenschaftler:innen und haben in ihrem Leben bereits viele Texte korrigiert.
„Wir haben die Texte per E-Mail geschickt. Manchmal haben wir ein paar Fragen zur Bedeutung des Gesetzes erhalten. Nach nicht mal mehr als einem Tag hatten wir oft schon den fertigen Text zum Publizieren bereit.“
Die Texte sind sehr unterschiedlich: für Berichte, aber vor allem für Social Media, Veranstaltungen an Schulen, für Physiotherapiepraxen oder Ärzte. Normalerweise sind die Texte kurz. Das Lektorat bietet einen großen Mehrwert für die Sputniks.
Digitales Engagement schafft Raum für Selbsthilfe
Marina Moiseeva erklärt: „Da wir selbst behinderte Kinder haben, haben wir zeitliche Begrenzungen. Digitale Tätigkeit, das bedeutet auch für uns: die Frauen können von zu Hause oder überall arbeiten und sich ihre Zeit so einteilen, dass sie sich um ihre Kinder kümmern können.“
Viele Freiwillige haben sich gemeldet und wollten helfen. „So viele Beiträge haben wir gar nicht, wie viele Freiwillige helfen wollten.“ sagt Marina Moiseeva. Die drei Freiwilligen, die momentan die Texte redigieren, helfen den Sputniks sehr. „Sie antworten sehr schnell und die Kommunikation ist sehr einfach.“ Das ist eine große Entlastung für Marina Moiseeva.
Man sieht Marina Moiseeva an: sie ist dankbar und berührt davon, wie die Ehrenamtlichen den Menschen helfen, die wirklich viel Hilfe benötigen.
Ich bin begeistert davon, mit welchen pragmatischen Ideen digitales Engagement umgesetzt werden kann. Und davon, wie wertvoll es für die Organisation ist.
Fotos: Immanuel Rahman
Text: Maria Dillschnitter, Freiwilligen-Agentur TATENDRANG München, tatendrang.de
Die Freiwilligenagentur Tatendrang München nimmt am Modellprojekt "Online Gutes tun - Freiwilligenagenturen fördern digitales Engagement" der bagfa, gefördert von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt teil.
Mehr Infos & Kontakt:
Freiwilligen-Agentur TATENDRANG
Maria Dillschnitter
80331 München
Tel. 089 4522411-0
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